Wie frei will ich sein? So frei, dass jede Handlunge eine Entscheidung ist? So frei, dass jeder Tag ein unbeschriebenes Blatt ist, bis ich es beschreibe? So frei, dass ich überzeugt davon bin niemals irgendwas zu müssen?Meine Zeit in offenen, selbstorganisierten Räumen hat und lehrt mich auch immer noch sehr viel. Und meine persönliche Antwort auf diese Fragen ist “Nein, nicht so frei”.Vielleicht denkt ihr jetzt, dass sich mein Text gegen das FFJ richten wird. Ist ja auch nicht so abwegig bei den ausdrücklichen Freiheitsbezug im Namen: Freiwilliges Freies Jahr. Muss wohl ziemlich frei sein, ne? Aber eigentlich soll mein Text viel eher meine Reflexionsprozesse zum Thema alltägliche Freiheit aufzeigen und wie ich am Ende dieser beim FFJ gelandet bin.
Seit ich mich zurück erinnern kann, wollte ich frei sein. In der Grundschule, als wir malen sollten was wir werden, wenn wir groß sind, habe ich mich in einem Heißluftballon gemalt. Als ich zwölf war habe ich meinen Eltern erzählt, dass ich sobald ich mit der Schule fertig bin, für immer Reisen werde. “Aber keine Sorge- wenn ihr alt seid und meine Hilfe braucht, komm ich zurück und pflege euch.” Der größte Gewissenskonflikt wurde damals durch den bei mir wohnenden Kater ausgelöst: wir gehörten doch zusammen, aber Katzen mögen kein Reisen… Während der Mittel- und Oberstufe hab ich mich beengt, gezwungen, klein gehalten gefühlt. Wie oft lag ich in meinem Bett und habe mir alle möglichen Leben in anderen Umständen und an anderen Orten vorgestellt. Was diese Träume alle vereinte: das Gefühl der Grenzenlosigkeit, der unendlichen Freiheit. Sobald ich mit der Schule fertig bin, sagte ich mir, bin ich weg. Was genau weg hieß, änderte sich alle paar Wochen. Mal war der Plan mit der transsibirischen Eisenbahn in die Mongolei und danach weiter nach Indonesien zu reisen, mal wollte ich den Pacific Crest Trail (PCT), einen Langstreckenwanderweg in den USA wandern. Mein Abitur kam und mit ihm Corona. Aus meinen Reiseplänen wurde nix. Trotzdem habe ich es geschafft mich in den letzten 1 1/2 Jahren so frei zu fühlen, wie noch nie.
Ich habe die Freiheit erfahren, die du erlebst, wenn du dich nicht von gesellschaftlichen Konventionen leitet lässt. Ich habe die Freiheit erfahren, die du erlebst, wenn du dich trotz mächtigen Gegenwind, für das, was du für richtig hälst, einsetzt (nur um das klarzustellen: ich rede hier NICHT über Coronamaßnahmen). Ich habe auch die Freiheit erfahren, die du erlebst, wenn dir in deiner Ziellosigkeit, die schönsten Überraschungen über den Weg laufen. Wenn du andere Menschen triffst und ihr euch zusammen frei fühlt. Ich bin wunderbaren Menschen begegnet, habe wunderschöne Orte gesehen und doch bin ich nie lange geblieben. Es trieb mich immer weiter.
Das Gefühl purer Freiheit fühlt sich an wie ein Rausch. Und was bei Rauschen oft üblich ist: Nach dem Hoch, kommt ein Tief. Gleichzeitig habe ich mich auch so einsam und verloren gefühlt, wie noch nie.
Und das ist die andere Seite meiner letzten 1 1/2 Jahre. Momente, in denen ich keinen Halt fand. Momente, in denen ich mich nicht mehr spüren konnte. Momente, in denen ich das Gefühl hatte, das mir der Boden unter den Füßen weggerissen wird. Und das beschreibt’s vielleicht ganz gut. Denn den Boden, den habe ich mir unter den Füßen weggerissen. Ich bin geflogen, hoch in der Luft. Immer höher und höher. Und dann kam der Sturm. Und ich wusste nicht mehr wo ich war. Und wie ich verdammte scheiße zum Boden zurück komme.
In einem der Stürme beschloss ich, nur noch so hoch zu fliegen, wie ich den Weg zum Boden zurück finde. Und ich entschied mich mir Halt und Struktur zu geben. Um vielleicht noch etwas konkreter mein Alltag davor zu beschreiben: Ihn gab’s nicht. Es gab Tage, Nächte. Alle anders. Mal hier mal dort. Unterschiedliche Orte. Immer wieder neue Menschen. Unterschiedliche Rhythmen. Unterschiedliche Leben.
In Momenten, wo ich Dinge ändern möchte tendiere ich oft dazu in extreme Gegenteile über zu schwingen. Aber das funktioniert nie langfristig. Denn ich bin nun mal ein freiheitsliebender, von Utopien träumender Mensch. Das alles hinter mir zulassen um das optimal beständige und sicherheitsbietende bürgerliche Leben einzunehmen? Nee.
Und so landete ich hier. Beim FFJ. Mit einer festen Gruppe an Menschen, einer Tagesstruktur, wöchentlichen Themen und Ziele und trotzdem auf jeden Fall freiheitsliebend und politisch. Und so langsam fühle ich mich bereit auch immer mehr Struktur und Ziele mit zu gestalten und vorzubereiten.
Mein Fazit aus den letzten 1 1/2 Jahren: Ich liebe und lebe für die Freiheit mich bewusst einzuschränken. Denn ja, wir brauchen mehr Freiheit, aber wir brauchen auch Beständigkeit, Sicherheit. Also lasst uns Banden bilden, auf einander Acht geben und dann
toben.
Comment: Dieser Text ist von einer /weißen/, nicht von Klassisismus betroffenen FLINTA* geschrieben. Dass mein Leben so viel um das Thema Freiheit kreisen konnte, ist definitiv durch meine in vielen Hinsichten privilegierte Art aufzuwachsen und zu leben beeinflusst.